Weintelegramm 47

Es ist morgens halb neun, ich sitze im Hörsaal 30 und frage mich, ob Prof. Monika Christmann zu ihrer Vorlesung kommen wird oder ob sie auch krank ist. +++ Seit dem 1. Dezember schleppe ich mich als Halbleiche mit Grippe in die Vorlesungen, und meine Telegramm-Produktion ist drastisch gesunken. +++ Aber heute sah ich im Badezimmer-Spiegel endlich wieder wie der alte Stuart Pigott aus, und nach knapp drei Monaten als Gasthörer an der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim ist die Zeit reif, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. +++ Es war auf alle Fälle eine gute Entscheidung, noch einmal die Schulbank zu drücken. Und dafür war es trotz meiner 48 Jahre nicht zu spät. +++ Viel Halbwissen habe ich in den letzten Wochen ausrangiert und mit festerem Stoff ersetzt. Danke vor allem an Dr. Dieter Hoppmann (für die Demontage meiner unstimmigen Vorstellung vom Weinbergskleinklima) und an Prof. Dr. Christmann (für die Beseitigung meiner Vorurteile gegenüber dem mechanischen Vollernter). +++ Auch viele wichtige neue Aspekte habe ich kennengelernt. +++ Danke an Prof. Dr. Hans R. Schultz (für den Überblick über die Bildung und Einlagerung von Inhaltstoffe in der Beere) und an Prof. Dr. Otmar Löhnertz (für die Einblicke, wie Rebe und Mensch gleichermaßen von den obersten 30 Zentimeter des Bodens abhängen). +++ Viele andere wichtige Momente sind aber kaum zu beschreiben und haben mit der überraschenden Offenheit bestimmter Studenten und Professoren zu tun. +++ Sie haben mich – ein äußerst unpraktischer Mensch – überzeugt, dass ich eine gute Chance habe, nächstes Jahr im Taubertal einen besonderen Wein zu erzeugen. +++ Ich werde einige unkonventionelle Sachen ausprobieren. +++ Man ist erst frei, wenn man keine Angst mehr hat ausgelacht zu werden. +++ Und ein teurer trockener Müller-Thurgau aus dem Taubertal (das nicht mal ein offizielles Weingebiet ist) erscheint vielen „Weinkenner“ noch als ziemlich lächerlich! +++ Prof. Christmann ist nicht gekommen, die Studenten driften aus dem Hörsaal. Ich gehe nach Hause und mache mir weiter Gedanken über meinem Weinberg!

This entry was posted in Wein Telegramm@de. Bookmark the permalink.