WEINHIER – Jancis Robinsons neue Riesling-Skepsis von Stuart Pigott

In Ontario/Kanada ist Riesling dabei Chardonnay zu überholen und Qualitäts-Weißweintraube Nummer eins zu werden! 

Jancis Robinson ist für mich die beste Weinkritikerin der Welt. Nicht weniger als ich, aber doch viel länger, hat sie unermüdlich die Besonderheiten und Vorzüge des Rieslings angepriesen. Den Glauben an die Erfolgschancen von Rieslings hat sie aber offenbar inzwischen verloren. So zumindest schreibt sie es auf www.JancisRobinson.com . Sie kommt zu folgendem Schluss: „…Mehr und mehr wird mir klar, dass Riesling eine zu ausgeprägte Persönlichkeit hat, um genug Konsumenten, die eine globalen Zugkraft garantieren. Das Problem ist, dass im Gegensatz zu Chardonnay und Pinot Grigio, Riesling einen zu eindringlichen Geschmack hat.“ Und weiter: „Wenn ich die internationalen Verkaufszahlen anschaue, muss ich sagen, dass nur die Weintrinker in Norwegen die Vorzüge des Rieslings wirklich verstehen.“

Mein Kommentar dazu in englischer Sprache hat für ein gewisses Aufsehen in Amerika gesorgt, weshalb wir jetzt eine deutschsprachige Fassung davon bringen.  Die folgenden Zeilen sind keine vollständige Antwort auf die Thesen von Jancis Robinson – das würde viel mehr Platz und eine Menge statistischer Analyse nverlangen. Vielehr will ich zeigen, dass man die gegenwärtige Situation ganz anders sehen kann. Aus meiner Sicht gibt es sehr wohl den PLANET RIESLING. Unter diesem Titel erscheint bald im Tre Torri Verlag die deutschsprachige Fassung meines Buchs BEST WHITE WINE ON EARTH – The Riesling Story.

Hier meine Antwort auf Jancis Robinsons Frage „Riesling – wird er je richtig erfolgreich werden?“

Schon der Titel zeigt, dass sie die Chancen unserer Lieblingsrebsorte sehr skeptisch beurteilt, ein Eindruck, der durch den Text vollständig bestätigt wird. Zufällig habe auch ich in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht, warum Riesling in bestimmten Märkten nicht besser läuft. Deshalb kam dieser Anstoß gerade recht, um meine Gedanken dazu mal aufzuschreiben.

Riesling scheint mir sehr vielseitig zu sein – in Bezug auf seine Geschmacksvielfalt, die von federleicht bis tonnenschwer, von knochentrocken bis honigsüß reicht und jede denkbare Kombination dieser Charakteristiken einschließt. Und diese Vielfalt differenziert sich weiter, in Abhängigkeit von den verschiedenen Menschen, die an den verschiedensten Orten der Welt Riesling produzieren oder konsumieren.

Schauen wir auf die Produktionsseite: Die Statistiken über die Anbauflächen erzählen in jeder Weinbauregion und -nation, in der Riesling eine bedeutende Rolle spielt,  ihre ganz eigene Geschichte.

In Australien beispielsweise ist die Rieslinganbaufläche im vergangenen halben Jahrhundert bemerkenswert stabil geblieben, trotz des Wandels bei Image, Marketing, und Stilistik, den die australische Weinindustrie in den letzten Jahrzehnten mit enormen Fluktuationen nach unten wie nach oben vollzogen hat. Dabei blieb „knochentrocken“ die vorherrschende Geschmacksrichtung dieser Rebsorte. Riesling scheint ein so unverrückbarer Bestandteil der australischen Landschaft wie der Uluru (aka Ayers Rock). Kein anders Land auf dem Planeten Wein bestätigt dieses Modell. In keinem anderen Land auf dem Planten Wein liegen die Dinge so klar.

Vollständig anders ist die Situation in Amerika. Dort geriet der Riesling in den 70er und 80er Jahre gegenüber Rebsorten wie Chardonnay oder Merlot, deren Popularitätswerte wie Anbauflächen dramatisch wuchsen, weit ins Hintertreffen. Doch seit der Jahrtausendwende gewann Riesling weitgehend unterhalb des dem öffentlichen Radars wieder kräftig dazu. Dazu bedurfte es dreier Zutaten: ein dramatisch verbessertes winemaking, das Aufkommen vinophiler grass root Interessen (auch außerhalb der coolen West- oder Ostküsten-Metropolen) sowie ein gesunder Schuss Guerilla-Marketing. In dieser Geschichte steckt jedenfalls alles drin über amerikanischen Innovationsgeist.

Gewiss, es gibt globale Trends in Sachen Weinkonsum. Aber wenn exakt dieselben Weine rund um den Globus getrunken werden, dann werden sie doch auf sehr unterschiedliche Weise in unterschiedlichen Kulturen konsumiert. Was auch bedeutet, dass dieselben Weine für diese sehr heterogene Gruppe von Weingenießern sehr unterschiedliches bedeutet.

Deshalb zweifle ich an Jancis Robinsons Schlussfolgerung, nach der die weltweite Riesling-Blase (die es ohnehin nur in einigen Regionen gab) geplatzt sei, weil (wie sie schreibt) Riesling eine zu starke Persönlichkeit habe, um auf genug Konsumenten zu wirken, damit diese Rebsorte eine globale Zugkraft entfalten könne. Zwar stimmt es, dass Riesling zuletzt nicht in jedem Markt gewachsen und mancherorts aufgrund wechselnder Moden und Vorlieben sogar ein bisschen zurückgefallen ist. Aber selbst an solchen Orten ist es nicht schwer,  zumindest Elemente des weltweiten Riesling-Netzwerks zu finden, wie man im Planet. Und genau darum wie um die Weine der besten Weißwein-Rebsorten auf Erden geht es in diesem Blog und in meinem Buch PLANET RIESLING.

 

Globalisierung im Sinne von globalem Handel geht auf die Zeit von vor 450 Jahren zurück (lesen Sie dazu Charles C. Manns Buch: 1493. Uncovering the New World Columbus created. Verlag Knopf , New York 2011). Aber erst die technischen Möglichkeiten des elektronischen Zeitalter haben die Bedeutung des Begriffs „sehr schnell“ dramatisch verändert. Doch selbst im 21. Jahrhundert ist Wein ein schwerfälliges Transportgut. Schon allein deshalb ist es bemerkenswert, dass Wein Teil der Social Media-Popkultur wurde. Noch außergewöhnlicher ist der Umstand, dass Riesling hier besonders erfolgreich ist, obwohl er nicht mal ein Prozent der weltweiten Rebfläche ausmacht. Im Vergleich dazu ist Cabernet Sauvignon kein auffälliges Phänomen im Bereich Social Media. Vielmehr ist es so, dass das Image dieser Weine in rigide hierarchische Strukturen eingesperrt ist, und deshalb im Netz kaum virale Aufregung zu verbreiten vermag. Ich bin sicher, dass die Nicht-Existenz einer globalen Community von Cabernet-Erzeugern (anders als bei Pinot Noir oder Riesling) , die hohen Preise für viele dieser Weine und das elitäre Gehabe um sie diesen Effekt verstärken.

Genau deshalb ist Riesling mit seinen vielfältigen Genussmöglichkeiten und stilistische Interpretationen so hervorragend geeignet, um die verschiedensten Menschen an den unterschiedlichsten Orten miteinander zu verbinden. Die Tatsache, dass seine Preise grundsätzlich moderat sind und sich seine Erzeuger weltweit frei und offen austauschen, verstärkt den Eindruck, dass Riesling ein demokratischer Wein ist.

Nur ältere Konsumenten, für die Riesling süß und langweilig schmeckt, sowie jüngere, statusorientierte Weintrinker, die ihre Prägungen von der älteren Generation beziehen (weil sie sich, wie ich vermute, in ihren Urteilen sicher fühlen will) scheinen komplett unfähig, einen neuen Zugang zu Riesling oder eine positive Interpretation dieser Rebsorte zu finden. Und in diesem Punkt hat Jancis Robinson recht: Sie selbst wie auch andere Weinautoren haben nur einen äußerst geringen Einfluss auf diese tiefsitzenden Vorurteile.

Warum aber klammern sich diese Konsumenten an eine derart altmodische Vorstellung von Riesling? Ich glaube, es liegt daran, dass viele dieser überwiegend männlichen Konsumenten in einer machohaften Art an ihren Überzeugungen festhalten; das heißt, sie trachten danach, den sehr bestimmenden Eindruck zu erwecken, über Wein absolut Bescheid zu wissen. Statt „Wissen“ verbreiten sie aber eine Vorstellung Wein, die aus einer vergangenen Weinwelt (meist die des späten 20. Jahrhunderts) stammt, sehr an damals herrschende Geschmacksnormen angepasst ist, wonach erst Chardonnay und dann die „großen“ Rotweine dominierten. Je mehr Parker-Punkte, desto klarer das Urteil, obwohl sich die Weinmoden und -stile seither in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt haben (z.B. in Richtung Eleganz, mehr geschmacklich trockene Weißweine und weniger tieffarbige Rotweine). In Anlehnung an den kanadischen Medientheoretiker Marshall MacLuhan könnte  man sagen: Die meisten von uns betrachten die Welt am liebsten wohlig durch den Rückspiegel als durch die Frontscheibe.

Fazit: Je mehr sich ein Individuum, eine Gruppe oder eine Kultur für den Geschmack von Wein öffnet (und zulässt, was der spezifische Charakter eines Weins mit einem anstellt), desto größer ist die Neigung zu Riesling. Je mehr Weinkonsumenten aber bestimmt sind von Status-Vorstellungen und einem klar definierten äußeren Erscheinungsbild, desto härter der Kampf, den diese Weine ausfechten müssen, um sich durchzusetzen und in extremen Fällen läuft das auf die Besteigung der Eiger-Nordwand hinaus. So lautet Pigotts Gesetz der Status-Weine.

Vielleicht liegt hier der Grund, dass sich Riesling in Norwegen so gut durchgesetzt hat, wie auch Jancis betont. Es lohnt jedenfalls, einen genaueren Blick auf Norwegen zu werfen. In dem von den Vereinten Nation erstellten Human Development Index 2014 nimmt Norwegen den ersten Platz ein – verglichen mit 5. Platz für Amerika und dem 14. für Großbritannien. Die Economist Intelligence Unit erstellt alle zwei Jahre einen Demokratie-Index, und da belegt Norwegen für das Jahr 2012 ebenfalls Patz eins (Großbritannien ist 16., die USA sind 21.). In dem Ranking der Pressefreiheit, das die Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt, rangiert Norwegen auf Platz drei (Großbritannien ist 33., die USA sind 46.). Als ich 2007 Norwegen bereiste, fand ich bestimmt nicht alles dort toll, aber das Klima der Offenheit von so vielen Menschen hat mich sehr beeindruckt. Das ist genau die Luft, die Riesling zum Atmen braucht und in der er aufblüht.

Nur am Rande möchte ich bemerken, dass keiner der weltweit führenden Riesling-Erzeuger je Probleme hat, jedes Jahr ausverkauft zu sein,. Ich muss schon ziemlich hinterher sein, um Weine direkt bei deutschen Winzern wie Helmut Dönnhoff in Oberhausen (Nahe) und Klaus-Peter Keller in Flörsheim-Dalsheim (Rheinhessen) zu kaufen, bei ihrem australischen Kollegen Jeffrey Grosset, Clare Valley oder bei Hermann J. Wiemer, Finger Lakes (Upstate New York).

 

 

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