Mein Weintelegramm 111

auch wenn manche Menschen meinen Wein nicht mögen oder gar ablehnen, ist mein Experiment zweifellos gelungen +++ zwei Wochen nach der Premiere meines ersten Weins liegen genug Reaktionen vor, um erste Schlüsse zu ziehen +++ viele von Ihnen erinnern sich sicher, dass mein Weinbauprojekt im abgelegenen fränkischen Teil des Taubertals sich der Frage widmete, ob es möglich ist, aus der Allerweltstraubensorte Müller-Thurgau einen Wein von Großes-Gewächs- / Grand-Cru-Format zu erzeugen +++ bisher gab es nur einen Verkoster, der sich von meinem Wein so unberührt zeigte, dass „nett“ sein einziger Kommentar war, ansonsten zeigte jeder eine starke Reaktion +++ für manche war er offensichtlich zuviel des Guten, bzw. zu kräftig, zu tannin- oder alkoholbetont, aber viele schienen ihn mit trockenen Rieslingen oder anderen Weinen konträrer Geschmackstypen zu vergleichen +++ bei der Präsentation am 5. September im Museum für Film & Fernsehen im Sony Center/Berlin habe ich außerdem einen weißen Châteauneuf du Pape (2008 „Vieilles Vignes“ von Château Beaucastel), einen weißen Burgunder (2008 Bourgogne Blanc von Comte de Vogüé) und einen österreichischen Grünen Veltliner (2008 „M“ von F.X. Pichler) +++ wie mein Wein haben sie alle einen üppigen Körper, moderate natürliche Säure und sind von langem Hefekontakt geprägt +++ keiner der Fachleute, die gekommen sind, hielt diesen Vergleich für unlogisch, prätenziös oder absurd, was an sich ein großer Erfolg für meinen Wein war +++ ich sage „für meinen Wein“, weil die 16,5 Punkte von Jancis Robinson (siehe „Purple Pages“ von www.jancisrobinson.com) keinesfalls meiner Person, sondern dem Wein galten +++ jeder Interessierte könnte wie ich in den Vorlesungen von Professor Schultz bei der FH für Weinbau in Geisenheim lernen, wie die Rebe wächst (es ist zwar alles ziemlich überraschend, aber nicht sehr kompliziert) +++ obwohl wir Weinjournalisten es gerne anders darstellen, ist gutes Weinmachen viel eher eine Frage von Detailarbeit und dem richtigen Schritt zu genau dem richtigen Moment als von Genialität +++ während meiner zahlreichen Besuche beim Winzerhof Stahl, wo ich meinen Wein erzeugte, wurde das immer wieder bestätigt +++ die größte Herausforderung bestand darin, die Sache konsequent durchzuziehen, auch wenn es neun Stunden Arbeit am Tag mit der Hacke auf einem 68% Hang in der heißen Sonne bedeutete +++ wenn Sie dass durchgehalten hätten, dann hätten Sie auch meinen Wein erzeugen können! +++ Winzer sein ist harte Arbeit, aber Winzer werden machte mir viel Freude und erweiterte meinen Horizont +++ deswegen war ich am Freitag in Potsdam mit Clemens Buch vom gleichnamigen Weingut in Pünderich/Mosel, um den Winzerberg anzuschauen, einen terrassierten Weinberg, der für Friedrich den Großen 1763 gebaut wurde +++ ein Bürgerinitiative baut ihn momentan wieder auf, mit dem Ziel, dort einen hochwertigen Wein zu erzeugen (siehe www.winzerberg-potsdam.de) +++ von was uns Monika Lange, Vorstand der Bürgerinitiative, erzählte und zeigte, glaube ich, dass dies durchaus möglich ist +++ es wird aber eine ganz andere Herausforderung, hier einen großartigen Wein zu erzeugen als im Taubertal: anderer Boden, eine andere klimatische Situation und ein einmaliger Aspekt dieser Lage: Reben unter Glas! +++ wir müssen uns dieser Situation bei der Wahl der Traubensorten und der Arbeit im Weinberg so weit wie möglich anpassen und dürfen nicht historischen Gespenstern hinterher rennen, wenn wir Erfolg haben wollen +++ gerne würde ich gleich anfangen!

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