Colares, Ramisco und ein 103 Jahre alter Winzer, von Frank Krüger

Vor ein paar Jahren erzählte mir ein italienischer Sommelier von der sagenumwobenen portugiesischen roten Rebsorte „Ramisco“ aus Colares – eine Art Pinot Noir mit geringerem Alkohol, mehr Säure, mehr Tannin und im Charakter wilder als der heftigste Pommard. Die Traube würde direkt am Atlantik nordwestlich von Lissabon angebaut, salzig und kühl durch die Meeresbrise, aufgrund der sechs Meter tiefen Sandböden von der Reblauskrise verschont und somit nicht veredelt. Reifepotential: Jahrzehnte!
Die Diktatur von Salazar, mühselige Handarbeit und die charmante Lage am Meer (ein begehrter Standort für die Feriendomizile der Lissabonner) hätten die Appellation auf ein paar Hektar zusammenschrumpfen lassen.

Die Geschichte ließ mir keine Ruhe und ich flog mit zwei Weinfreaks im Januar 2015 nach Lissabon. Wir hatten einen Termin bei einem der letzten übrig gebliebenen Weingüter, „Viúva Gomes“. José Baeta, ein Mitglied der Besitzerfamilie, empfing uns in der beeindruckenden alten Halle der Adega. Nach einigen Basisweinen verkosteten wir den reifen Ramisco.

Der 1967iger Ramisco war krass: Getrocknete eingekochte Früchte, ätherisch, enorm mineralisch, salzig, erdig, eisenhaltig, blutig, dabei mit heftiger Säure, saftig und lang. Während wir verkosteten, erzählte José von einem anderen Winzer in Colares: Baron von Bruemmer, 103 Jahre alt, deutschstämmig. Ende der 1960iger kam er nach einer hoffnungslosen Krebsdiagnose gemeinsam mit seiner Frau nach Colares, um in dieser wundervollen Natur in Ruhe sterben zu dürfen. Es kam anders, von Bruemmer starb nicht und gründete mit 96 Jahren sein eigenes Weingut. Hier und da verkaufe er ihm ein Fass, berichtete José, allerdings würde der Baron die Qualität vorher mit seinem Pendel begutachten.

Zurück in Berlin ließ mich der 103jährige Winzer Baron Bodo von Bruemmer nicht mehr los. Ich checkte alle Fakten über von Bruemmer – Josés Geschichte stimmte.

Ende August 2015 flog ich erneut gemeinsam mit zwei Berliner Weinfreaks nach Lissabon und weiter nach Colares, um das Weingut, seine Weine und den Baron selbst kennenzulernen. Wir hatten es tatsächlich geschafft, einen Termin mit ihm zu vereinbaren.

António Figueiredo, einer seiner Winemaker, empfing uns auf diesem wunderschönen Weingut hoch über Colares – bisher keine Spur von dem alten Baron.

Antonio führte uns durch die Weingärten: Ramisco, Malvasia, Arinto, Chardonnay, Pinot Noir, Merlot, Touriga und sogar Riesling. Aufgrund der hohen Feuchtigkeit sei Fäulnis in der Region ein großes Problem, meinte Antonio, exakte Weinbergsarbeit deshalb enorm wichtig. Die Vegetation im Garten rund um die Weinberge war wunderschön: Palmen, wilde Rosen (von Bruemmers Frau liebte Rosen), alte Brunnen, eine Kapelle mit Azuleijos Kacheln.

Im Weinkeller verkosteten wir seine Weißweine aus dem Fass:

Fantastischer 2014er Chardonnay (Lisboa): Tropisch, Zitronenschalen im Auftakt, aber dann eng, mineralisch und salzig zumachend.

Der 2014er Malvasia (Colares DOC) beeindruckte mit Zitrusaromen, Orangenschalen, Akazienhonig und feinem nussigem Schmelz im Abgang.

Der rote Ramisco 2006 (Colares DOC) zeigte sich nach einigen Jahren Flaschenreife mit wilder Kirsche, rauchig, mineralisch, ätherisch mit seidigen Tanninen und präsenter Säure. Ramisco braucht allerdings viel Zeit.

Wir verkosteten sogar einen maischevergorenen Malvasia, aber nicht, weil die aktuelle Weinwelt diese Stilistik vorschreibt, sondern weil der Baron in alten Schriften von dieser Technik gelesen hatte.

Nach ca. 3 Stunden Weinberg und Keller hatte endlich Bodo von Bruemmer seinen Auftritt. Was folgte, waren 103 Jahre gelebte Geschichte und eine Zusammenkunft, die weit über das Thema Wein hinausging:

Guten Tag! Herr Krüger aus Berlin, richtig? Ich habe mal in Berlin gewohnt, am Kaiserdamm, zwischen den beiden Weltkriegen. Gestatten, Bodo von Bruemmer, 103 Jahre, Weltkriege & Revolutionen in Russland und Portugal überlebt, Gründer der Herstatt-Bank, Züchter von Araber Hengsten, heute Winzer.

Wir wollten unbedingt erfahren, wie ein 96-Jähriger auf die Idee kam, Wein zu machen. So berichtete der Baron von seinem Leben und seiner Ankunft in Portugal:

Wissen Sie, ich kam zum Sterben nach Lissabon. Die Ärzte diagnostizierten bei mir in den 1960igern in Zürich Pankreaskrebs und gaben mir noch einige Wochen zu leben. Ich dachte, ich suche einen charmanten Ort für meine Frau, damit sie es schön hat, wenn ich nicht mehr bin. Wir stolperten über eine FAZ-Anzeige, kamen am Flughafen in Lissabon an und ich wusste sofort – hier bin ich zuhause. Meine Frau roch allerdings nur Kerosin! Wir kauften dieses Grundstück hier in Colares. Es waren anfangs nur ein paar Steine! Ich begann Rosenwasser zu trinken und eine Woche verging. Ich starb nicht. Eine zweite Woche verging. Ich starb nicht. Monate vergingen. Ich starb nicht. Irgendwann vergaß ich meine Diagnose und begann, mich um andere Dinge zu kümmern. Ich nahm wieder mein Bankerleben auf und begann, Araber-Hengste zu züchten. Ich gewann Rennen in aller Welt, wir lebten wie ein fahrender Zirkus, das war schon lustig, Herr Krüger. Doch die Katastrophe, der Tot war immer präsent.

1994 starb seine Frau und die Pferdepest rafft seine Hengste hinweg. Der Baron lebt weiter.

Wissen sie, sie dürfen nie aufgeben! Die Ärzte haben mich viermal als unheilbar krank diagnostiziert. Ich habe einen Tumor im Herzen, der sieht aus wie ein kleiner Atompilz. Er macht mir keine Angst mehr, man muss sich mit seinen Krankheiten anfreunden.

Mit jedem seiner Sätze spürt man seinen durchaus esoterischen Zugang zu leben und Existenz, der sich auch auf seine Idee von Wein auswirkt. Wirkliches Vertrauen hat „Mister Bodo“, wie ihn seine Mitarbeiter nennen, nur in sein Pendel. Seit 40 Jahren pendelt er jede Lebensentscheidung aus. Auch die Einstellung seines Mitarbeiters Antonio wurde ausgependelt. Andere Bewerber hatten exzellente Önologie-Diploma, aber das Pendel entschied sich für ihn – alles, was für den Baron zählt.

Mit 96 Jahren zwang von Brümmer eine schwere Operation in ein Züricher Krankenhaus. Als von Bruemmer aus der Narkose erwachte, war ihm klar: Er muss Wein anbauen in Colares!

Trotz Widerstand in der Familie und im Freundeskreis, ließ sich von Bruemmer nicht beirren. Er engagierte Berater, investierte eine Million Euro in seinen Keller, in dem früher seine Araberhengste überwinterten.

Geben sie nie auf, Herr Krüger!

Der Baron hat es geschafft, die Weine sind exzellent, haben Preise gewonnen, werden exportiert. Er schaut mich an und fragt mich, warum der deutsche Markt so schwierig sei für seine Weine. Vielleicht könne ich etwas für sein Weingut tun? Er lächelt, er ist ehrgeizig, seine Augen funkeln spitzbübisch. 10 Jahre müsse er noch leben, um alles auf den Weg zu bringen. Er hat das sicher ausgependelt. Er scheint das selbst in der Hand zu haben, und man nimmt es ihm ab.

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