Weintelegramm 85

Wer regelmäßiger Besucher dieses Ortes im Cyberspace ist, der weiß, dass ich ein militanter Anti-Blogger und Twitter-Ablehner bin. +++ Das geht auf einen heftigen Schock im Sommer 2007 zurück, als mir ein Bekannter in Portland/Oregon erzählte, es gebe schon 60 Millionen Blogs und bis Jahresende würden es schätzungsweise 100 Millionen werden! +++ Wie viele sind es dann jetzt? +++ Eines nicht so fernen Tages wird jeder Mensch auf diesem Planeten seinen eignen Blog haben, und keiner wird mehr als paar davon lesen; die ganze Welt ein Spiegelsaal! +++ Ich gebe zu, dass es Situationen gibt, wie im Iran unmittelbar nach den gefälschten Wahlen, in denen Blogs und Twitter toll sind, weil sie einen wichtigen Zweck (Umgehung von Zensur und Organisation von legitimer Opposition) erfüllen. +++ Aber wenn der Sender nur seinen Tagesablauf niederschreibt, ist das aus meiner Sicht nichts anderes als ein öffentliche Tagebuch, meist voll mit Banalitäten und ohne Ziel. +++ Dagegen ist Journalismus eine gezielte Suche nach Wahrheit, bzw. die gründliche Erarbeitung und Recherche einer Story mit einem Anfang, eine Mitte und einem Ende. +++ Das ist sicher altmodisch, aber ich versuche diese Vorstellung von meiner Arbeit an die Gegenwart anzupassen; eine Welt, in der Blogs, Twitter, Facebook & Co wichtige Aspekte sind. +++ Und manchmal stößt man aber auch im Alltag jenseits des Cyberspace auf Erstaunliches. +++ Wie neulich in meinem Keller auf eine Flasche 2003 Trollinger „Alte Reben“ von Weingut Kistenmacher & Hengerer in Heilbronn/Württemberg. +++ Ich habe den Wein meiner Frau blind serviert, und sie glaubte, es müsse sich um einen fünf Jahre alten hochwertigen Spätburgunder handeln! +++ Laut verbreitete Meinung unter Fachleute kann so ein Geschmack bei dieser Rebsorte nicht möglich sein, aber dieser Wein war ein überzeugender Beweis, was drastische Ertragsreduzierung (in diesem Fall durch das hohe Rebalter) bei Trollinger bringen kann. +++ Dann wird aus dem grauen Entlein ein strahlende Schwan!

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