Weintelegramm 74

Von geplatzten Wirtschaftsblasen hat jeder zur Genüge gehört, aber von der gegenwärtigen Informationsblase hört man gar nichts, obwohl sie gewaltige Dimensionen annimmt und ähnlich gefährlich ist. +++ Information hat Wahrheit schlichtweg ersetzt, fließt jetzt in alle Richtungen und hat fast unsere ganze Welt durchdrungen. +++ Weil wir täglich auf Informationswellen surfen, glauben wir die Kontrolle über dieses Spiel zu haben, aber inzwischen werden wir von einer Informationsflut überrollt, die von niemandem zu bewältigen ist. +++ Hier ein Beispiel: +++ Während der amerikanischen Präsidentschaftskampagne berichteten einige große Fernsehanstalten und Zeitungen, Sarah Palin wisse nicht, dass Afrika ein Kontinent sei. +++ Das hatten sie aus dem Blog eines McCain-Beraters namens Martin Eisenstadt, Mitarbeiter des Harding Institute +++ Dabei gab es nur ein winziges Problem: Weder Eisenstadt noch Harding Institute existierten! +++ Zahlreiche „echte“ Blogger und manche solche Luftschlösser werden von uns und den traditionellen Nachrichtenmedien ernst genommen, nur weil ihre Stimme halbwegs plausibel klingt und sie sich kräftig produzieren. +++ Allein der ununterbrochene Fluss ihrer Kommentare verleiht ihnen Plausibilität, vor allem bei der wachsenden Anzahl von Informationssüchtigen. +++ Bei der Arbeit an meinem gerade fertig gestellten Buch WEIN WEIT WEG habe ich genau das Gegenteil angestrebt, nämlich vor Ort nach der Wahrheit zu suchen und sie dann schriftlich herauszuarbeiten. +++ Wahrheit macht immer Arbeit, insbesondere bei der von mir praktizierten Gonzo-Methode, die vom Journalisten verlangt, so nahe an seine Materie zu kommen, dass er mit ihr eins wird. +++ Im Buch geht es natürlich um Wein, doch das im Kontext der kulturellen und wirtschaftlichen Globalisierung. +++ Die ist gerade dabei, in ihre nächste Phase zu gehen und die uns vertraute Welt völlig auf den Kopf zu stellen. +++ Bloße Information, auch raue Mengen davon, hilft uns nicht, diesen Veränderungen zu begegnen, sondern gaukelt uns eine Vorstellung davon vor, die in etwa so wahrheitsgetreu ist wie die Bilder auf Postkarten.

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