Weintelegramm 67

Gestern habe ich sieben Stunden und vorgestern drei Stunden im Weinberg geschuftet, um die ganzen Rebtriebe aufzurichten und zwischen die Drähte zu stecken. +++ Das war wegen des rasanten Wachstums der letzte zehn Tage dringend notwendig. +++ Dabei habe ich Tausende von Geiztrieben (Fachbegriff für Seitentreibe) um die Gescheine (Blüteansätze) entfernt, um sie halbwegs frei zu stellen. +++ Ich möchte, dass etwas Sonne auf die jungen Trauben fällt, in der Hoffnung, dickere Beerenhäuten mit hohem Widerstand gegen Fäulnis zu bekommen +++ Ja, ich bin dabei, mich in einem „Hobbit“ zu verwandeln. +++ Dieser Begriff stammt von der Mosel und bezeichnet eine neue Art von Hobbywinzern. +++ Die „alte“ Hobbywinzer wollten meist nur einen günstigen (und oft rustikalen) Haustrunk; die „neuen“ Hobbywinzer wollen Weine mit einer Qualität wie beim Spitzenwinzer erzeugen und betreiben einen Riesenaufwand, um dahin zu kommen. +++ Ich opfere gerne meine Knöcheln am 68 Prozent steilen Hang des Tauberzeller Hasennestle in der Hoffnung, einen Müller-Thurgau zu ernten, der dem Vergleich mit dem meines Verpächters, Christian und Simone Stahl in Auernhofen/Franken, standhalten kann. +++ Ein wahre Höhepunkt dieses Besuch beim Winzerhof Stahl war ein lange Gespräch mit dem „Dr.“, dem menschenscheuen neuen Außenbetriebsleiter des Hauses. +++ Vor allem interessieren den wortkargen Geologen in Punkto Weinbau die weitgehend unerforschten Tiefen des Bodens. +++ Das die Rebe fünf oder sechs Meter tief wurzeln kann, ist an manchen Stellen in den steilen Weinbergen, wo ein Bodenprofil freigelegt ist, gut zu sehen, aber warum müssen die Rebwurzeln dort einhalten? +++ „Infinite Root Penetration“ oder IRP nennt der „Dr.“ sein Ziel und meint damit, dass die Grenze der Durchwurzelung wesentlich tiefer liegt als bisher für möglich gehalten. +++ Auf der Spur von IRP buddelt er an viele Stellen und hofft, nächstes Jahr erste Tiefenbohrungen zu unternehmen, um stichfeste Beweise zu erhalten und das Thema in Fachkreisen vorstellen zu können +++ Möglicherweise stehen wir kurz vor eine Weinbau-Revolution!

This entry was posted in Wein Telegramm@de. Bookmark the permalink.